Die Flügeltüren weit geöffnet

Friedrich von Thun las Thomas Mann im Schloss Berleburg

Friedrich von Thun las auf Einladung der Kulturgemeinde auf Schloss Berleburg unter dem Thema 'Weihnachten bei den Buddenbrooks'. (SZ-Foto: ahe)

Am Eröffnungsabend der "WeihnachtsZeitreise" lud die Kulturgemeinde zu "Weihnachten bei den Buddenbrooks" ein.

Bad Berleburg. (ahe) Dem Publikum wurde bereits vor Beginn der szenischen Lesung am Freitagabend ein gebührender Empfang bereitet: Die barocke Dreiflügelanlage strahlte gedämpft im Scheinwerferlicht, dazu Tannenbäume, Buden und brennende Holzscheite in eisernen Körbe sowie ein Blasensemble, das Weihnachtslieder zum Besten gab. Diese im Ganzen etwas rauchig-geheimnisvolle Stimmung griff dann auch der Schauspieler und Interpret des Abends, Friedrich von Thun, in seiner Einführung auf und verglich die Bad Berleburger Schlosshofatmosphäre mit der Lübecker Weihnachtsstimmung um 1900, wo es laut Thomas Manns Schilderungen des Knaben Hanno die italienischen Drehorgelspieler gewesen sein müssen, die auf das festliche Ereignis einstimmten.

Weihnachten bei den Buddenbrooks, das ist Weihnachten auf großbürgerliche Konsulsart. Alles einen Tick zu groß und zu üppig, die ansonsten eher sterile Säulenhalle der Buddenbrook'schen Villa wird zu einer himmlischen Halle verklärt, auf deren Betreten sich alle Fest-Teilnehmer einen ganzen Nachmittag innerlich vorbereiten müssen. Schon vor Erregung bebt der kleine Konsul-Enkel Hanno, wenn er sich den Anblick seines "Hauptwunsches" – ein hölzernes Theater mit Kulissen der Oper "Fidelio" – aufs Köstlichste ausmalt.

Es duftet, ja atmet alles der "Geburt des Tischlersohns und Menschheitsrabbis" (Thomas Mann, Zauberberg) entgegen. Als sich die hohen weißen Flügeltüren zur Säulenhalle dann endlich öffnen, kommt ein Weihnachtsbaum der Superlative zum Anblick, der über und über mit Lametta und weißen Lilien geschmückt ist und an dessen Fuß die obligatorische Krippe mit dem wächsernen Jesuskind steht.

Diese klugen bis detailbesessenen Beobachtungen, die Thomas Mann in seinem ersten Roman kreierte, enthalten genauso viel Süffisanz wie Humor und fast zärtlich-böse Ironie. Alle diese Eigenschaften, die auch den Ton der Buddenbrooks ausmachen, gelangen Friedrich von Thun bei seiner Interpretation mit Bravour, so dass ihm gerne und aufmerksam zugehört wurde. Die ausverkaufte Lesung wurde so zu einer äußerst kurzweiligen Veranstaltung, die durch die szenisch interessant eingesetzte Klavierbegleitung noch gesteigert wurde.

Der aus Südafrika stammende Pianist Richard van Schoor spielte Passagen von Schubert, Schumann, Liszt und Chopin und rief damit die Musiker des Jahrhunderts auf den Plan, dessen Untergang Thomas Mann in den "Buddenbrooks" in aller Ausführlichkeit verewigte.

Für das Leuchten der Kinderaugen am Weihnachtsabend geben Eltern in diesem Jahr laut Statistik eines Spielwarenhändlers durchschnittlich 306 Euro aus. Bei so einer Summe können schon einige Päckchen zusammenkommen. Sollte dabei der Platz unter dem Baum eng werden, könnte man es der alten Konsulin gleichtun: Sie ließ Tischchen decken – heute würden wir Sideboards sagen – mit weißen Deckchen, worauf die Päckchen nebst einem geschmückten Miniweihnachtsbaum angeboten wurden: Der Roman, für den Thomas Mann 1929 den Nobelpreis erhielt, heißt nicht umsonst "Verfall einer Familie". Die Dekadenz kommt eben vor dem Fall.

Siegener Zeitung

Siegener Zeitung (15.12.2008)
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